Ausweise fälschen
Samson Cioma Schönhaus
Samson Cioma Schönhaus
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„Der Auftrag ... [einen Stempel zu fälschen] beflügelt mich. Endlich kann ich mich wehren. Endlich muss ich nicht mehr tatenlos zusehen, was mit uns geschieht.“
Samson Cioma Schönhaus, 2004
Samson Schönhaus, genannt Cioma, kommt 1922 als einziger Sohn jüdisch-russischer Einwanderer in Berlin zur Welt und wächst in Berlin-Mitte auf. Die Familie wohnt in der Sophienstraße 33 und besitzt dort eine Mineralwasser-Firma, die 1938 von den Nationalsozialisten "arisiert" wird. Cioma Schönhaus muss 1937 das Gymnasium verlassen und zur Jüdischen Mittelschule wechseln. Seine Ausbildung zum Grafiker wird durch die Zwangsverpflichtung zu Bauarbeiten abgebrochen. Ab 1942 ist er in der Uniform- und Waffenproduktion zwangsverpflichtet. Seine Eltern Faiga (Fanja) und Beer (Boris) Schönhaus werden im Juni 1942 ins deutsch besetzte Polen deportiert und ermordet. Dasselbe Schicksal erleiden seine Großmutter und andere Verwandte. Als Rüstungsarbeiter der Firma Genschow AG von der Verschleppung zurückgestellt, bleibt Cioma Schönhaus in Berlin zurück.
Bald entzieht er sich den Bestimmungen, wo immer er kann, und trifft sich mit Regimegegnern. Er verkauft allen Hausrat seiner Eltern, noch ehe der Staat die Sachen beschlagnahmt, und hat dadurch etwas Geld zur Verfügung. Für einen Kreis evangelischer Christen aus der Bekenntnisgemeinde Berlin-Dahlem, der Verfolgten beisteht, fälscht Schönhaus erstmals einen Ausweis. Ein Vorbild dafür gibt es nicht, also entwickelt er seine eigene Methode. Seine Arbeit wirkt täuschend echt, und bald erhält er über den Helfer Franz Kaufmann neue Aufträge. Mit der Umarbeitung Dutzender Ausweise kann er andere Verfolgte retten.
Ab September 1942 lebt er versteckt unter falscher Identität, zunächst bei ahnungslosen Zimmerwirtinnen in Untermiete. Ein von Mittelsleuten gemieteter Laden in Berlin-Moabit, den er sich mit dem ebenfalls „illegal“ lebenden jüdischen Drucker Ludwig Lichtwitz und dem im Untergrund tätigen jüdischen Elektriker Werner Scharff teilt, ist seine Werkstatt. Sich selbst beschafft Cioma Schönhaus russische Papiere auf den Namen „Peter/Pjotr Petrow“. Als er sie verliert, wächst die Gefahr entdeckt zu werden. Helene Jacobs, eine mutige und umsichtige Mitstreiterin Kaufmanns, versteckt ihn fortan in ihrer Wohnung in Berlin-Wilmersdorf.
Durch eine Anzeige aus der Bevölkerung werden Jacobs, Kaufmann und etwa 50 weitere Mitstreiter im Sommer 1943 verhaftet. Cioma Schönhaus kann einer Festnahme knapp entkommen. Unmittelbar gefährdet, flieht er Ende September 1943 mit einem gefälschten Wehrpass und einem fingierten Urlaubsschein aus Berlin. Mit dem Fahrrad entkommt er nach Württemberg, wo ihm der evangelische Pfarrer Kurt Müller in Stuttgart und Pfarrfrau Inge Vorster in Degerloch beistehen. Anfang Oktober 1943 gelingt es ihm, in der Nähe des Dorfes Oehningen in die Schweiz zu fliehen. Dort beendet er seine Berufsausbildung und studiert Germanistik und Psychologie.
1953 macht er sich mit einer Grafikagentur selbständig. Er lebt in der Nähe von Basel und schreibt zurzeit seine Memoiren in mehreren Bänden.
Fahndungsmeldung nach Samson Cioma Schönhaus im "Deutschen Kriminalpolizeiblatt" vom 30. September 1943
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Samson Cioma Schönhaus
© Privatbesitz Samson Cioma Schönhaus
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Samson Cioma Schönhaus in der Sophienstraße – im Hintergrund die Sophienkirche in Berlin
© Privatbesitz Samson Cioma Schönhaus in der Sophienstraße – im Hintergrund die Sophienkirche in Berlin
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Familie Schönhaus (Cioma links) mit Großmutter (vorne rechts) um 1938
© Privatbesitz Familie Schönhaus (Cioma links) mit Großmutter (vorne rechts) um 1938
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Faksimile der Postkarte von Fanja (Fanny) Schönhaus, der Mutter von Samson Cioma Schönhaus, vom 2. Juni 1942 aus dem Sammellager kurz vor der Deportation.
© Privatbesitz Faksimile der Postkarte von Fanja (Fanny) Schönhaus, der Mutter von Samson Cioma Schönhaus, vom 2. Juni 1942 aus dem Sammellager kurz vor der Deportation.
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PersonenFranz Kaufmann
Franz Kaufmann
Franz Kaufmann studiert Jura und Staatswissenschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg ist der promovierte Jurist zunächst beim Magistrat in Berlin-Charlottenburg beschäftigt, wird 1922 ins Preußische Innenministerium berufen und ist schließlich als Oberregierungsrat am Rechnungshof tätig. Wegen seiner jüdischen Herkunft wird Kaufmann 1936 entlassen. Der konservative Christ gehört seit 1940 der Bekenntnisgemeinde in Berlin-Dahlem an. Durch seine Ehe vor der Deportation geschützt, beginnt er in Zusammenarbeit mit dem Büro von Pfarrer Heinrich Grüber, Hilfe für rassisch Verfolgte zu organisieren. Kaufmann sammelt einen Kreis von Helfern um sich, insbesondere Mitglieder der Bekenntnisgemeinde Dahlem, von denen einige selbst zu den Gefährdeten gehören. Er nutzt seine vielfältigen Kontakte als ehemaliger Regierungsbeamter, um Verfolgten Verstecke, gefälschte Ausweise und Lebensmittelkarten zu verschaffen. Nach einer Denunziation und erzwungenen Geständnissen werden Kaufmann und etwa 50 weitere Menschen aus seinem Umkreis festgenommen. Nahezu sechs Monate wird er gefangen gehalten, brutal misshandelt und immer wieder verhört. Ohne ihn jemals vor Gericht zu stellen, ermordet die Geheime Staatspolizei Franz Kaufmann am 17. Februar 1944 im KZ Sachsenhausen.
Literatur
- Katrin Rudolph: Hilfe beim Sprung ins Nichts. Franz Kaufmann und die Rettung von Juden und "nichtarischen" Christen. Überarbeitete Neuauflage Berlin 2017
- Björn Mensing/Heinrich Rathke: Mitmenschlichkeit, Zivilcourage, Gottvertrauen. Evangelische Opfer von Nationalsozialismus und Stalinismus. Leipzig 2003, S. 101-105
- Björn Mensing: „Jetzt bin ich Gangster“. Die Berliner Kaufmann-Gruppe kämpfte mit allen Kräften gegen die Deportation von Juden, in: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 5 (2004), H. 2, S. 52-54
- Klaus Drobisch: Art. Franz Kaufmann, in: Manfred Asendorf/Rolf von Bockel (Hrsg.): Demokratische Wege. Deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrhunderten. Stuttgart/Weimar 1997, S. 322-323
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Helene Jacobs
Helene Jacobs
Als Tochter einer Lehrerin in Schneidemühl geboren, wächst Helene Jacobs unter großen Entbehrungen und ohne Vater auf. Nach dem Lyzeum besucht sie einen Handelskursus und findet in Berlin eine Anstellung bei einem Patentanwalt. Als dieser nach der nationalsozialistischen Machtübernahme rassisch verfolgt wird, kann sie ihm und seiner Familie 1939 zur Flucht aus Deutschland verhelfen. Helene Jacobs schließt sich der Bekennenden Kirche an und trifft bei Veranstaltungen der Dahlemer Bekenntnisgemeinde auf weitere Helferinnen und Helfer für Verfolgte. 1940 lernt sie dort auch Franz Kaufmann kennen, der gemeinsam mit anderen die Arbeit des Büros von Pfarrer Heinrich Grüber unterstützt. Helene Jacobs hilft rassisch Verfolgten mit Lebensmitteln und gefälschten Ausweisen, organisiert Verstecke und stellt dabei auch ihre eigene Wohnung als Quartier zur Verfügung. Im August 1943 wird Helene Jacobs festgenommen und im Januar 1944 vom Sondergericht Berlin zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie kann in der Haft das Kriegsende überleben und setzt sich nach 1945 für die Verständigung zwischen Juden und Christen ein.
Literatur
- Björn Mensing: „Jetzt bin ich Gangster“. Die Berliner Kaufmann-Gruppe kämpfte mit allen Kräften gegen die Deportation von Juden, in: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 5 (2004), H. 2, S. 52-54
- Gerhard Schäberle-Koenigs: Und sie waren täglich einmütig beieinander. Der Weg der Bekennenden Gemeinde Berlin/Dahlem 1937-1943 mit Helmut Gollwitzer. Gütersloh 1998
- Helene Jacobs: Für die anderen da sein, in: Gerda Szepansky (Hrsg.): Frauen leisten Widerstand 1933-1945. Lebensgeschichten nach Interviews und Dokumenten. Frankfurt am Main 1985, S. 57-90
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LiteraturCioma Schönhaus: Der Passfälscher. Die unglaubliche Geschichte eines jungen Grafikers, der im Untergrund gegen die Nazis kämpfte, Frankfurt am Main 2004.
Cioma Schönhaus: Der Passfälscher im Paradies. Das Ende einer unglaublichen Odyssee, Frauenfeld 2010.
Katrin Rudolph: Hilfe beim Sprung ins Nichts. Franz Kaufmann und die Rettung von Juden und „nichtarischen“ Christen, Berlin 2005.